Gemeindebrief 247

Mai, Juni und Juli 2024

Leichtigkeit

Ja, natürlich gibt es unzählige Bibelverse, die eine große Bedeutung für die Gegenwart besitzen und diese auch immer wieder neu entfalten.
Doch erinnere ich mich nicht, wann mir schon mal ein Bibelvers
begegnet ist, aus dem für mich so unmittelbar und eindeutig die Aktualität sprach.
Solch ein Vers ist der Monatsspruch für den Monat Juli:
                 Du sollst dich nicht der Mehrheit anschließen,
                             wenn sie im Unrecht ist.

                                    2. Mose 23, 2

Ich habe ihn gelesen und sogleich wurden bei mir Bilder wachgerufen:
Bilder von Menschen, die laut sind und gegen andere hetzen, weil die – vermeindlich „Anderen“ – mit ihrem Anderssein kein Recht auf Leben und Freiheit in diesem Land haben.
Und in mir steigen Bilder auf von Menschen mit bunten Fahnen und witzigen Plakaten, die durch Hüls ziehen und durch Krefeld und durch Berlin und Frankfurt und München und Hamburg und… die aufstehen gegen jegliche Form von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit; die einstehen für Demokratie und Vielfalt.
Noch ist nicht ausgemacht, wer aus welchem der beiden Bilder die Mehrheit darstellt. Das werden wohl letztgültig erst die nächsten Wahlen zeigen.
Ich habe die Hoffnung, dass die Mehrheit der Menschen die sein werden, die in den ersten Monaten dieses Jahres bei den Demonstrationen im ganzen Land zu sehen waren.
Vor allem aber habe ich die Hoffnung, dass sich niemand überzeugen lässt, weil die Stimme des einen einfach nur lauter ist als die einer anderen. Ich vertraue darauf, dass sich die Stimmen als größte Überzeugungsmacht erweisen werden, die für Leben in Vielfalt und Freiheit für alle Menschen sprechen und nicht „Andersein“ am Maßstab des eigenen Lebensentwurfes oder der eigenen Existenz bemessen.
Und ich will gegen Verzagtheit oder Resignation an dem festhalten, was unsere Aufgabe als Christenmenschen ist: zu hoffen und für das Leben zu tun, was immer in unseren Möglichkeiten liegt. – Damit
alles, was dem Leben dient, zu der „Mehrheit“ wird, der viele folgen.
   
                                                                  Ihre Pfarrerin

Gemeindebrief 246

Februar, März und April 2024

Schuld und Vergebung

Konfirmandenunterricht in der Kreuzkirche. Thema: Die 10 Gebote.
Gefragt, welche Gebote sie kennen, antworten immer einige Jugendliche:
                          Du sollst deinen Nächsten lieben.
Und auch, wenn dieser Satz nicht Teil der 10 Gebote ist, so liegen die Jugendlichen doch so ganz falsch nicht. Denn als Jesus einmal nach dem höchsten und wichtigsten Gebot gefragt wurde, hat er mit diesem Satz geantwortet.
Genauer hat er gesagt:
                         Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben
                         mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele

                         und mit deinem ganzen Verstand.
                         Und das andere ist ihm gleich:
                         Du sollst deinen Nächsten wie dich selbst.
                                           Mt 22,37-39

In der Liebe liegt offenbar die Erfüllung aller Gebote.
Doch was ist Liebe?
Kaum etwas, was so oft in Schlagern besungen wird, was so viel bedichtet wird, was so sehr Ratsuchende in Beratungsstellen umtreibt, wie die Liebe.
Und klar ist: Liebe hat vielfältige Gesichter und ist mitnichten nur die erotische und partnerschaftliche Liebe zwischen zwei Menschen.
Um welche Form und welche Art der Liebe geht es dann aber, wenn die Liebe der Dreh- und Angelpunkt, der Grund und das Ziel allen menschlichen Miteinanders sein soll?
Die Jahreslosung für 2024 – der Bibelvers, der durch ein ganzes Jahr begleiten soll, hilft weiter. In seinem Brief an die Gemeinde zu Korinth beginnt Paulus seine Schlussermahnungen mit der Aufforderung:
                        Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.
                                          1.Kor 16,14

Liebe – so verstehe ich – ist also nicht zuerst ein Gefühl. Es ist vielmehr eine Haltung – eine Lebenshaltung, mit der ich meinen Mitmenschen, allem, was lebendig ist und Leben bedeutet, begegne. Und diese Haltung der Liebe fragt nicht nach Sympathie oder Verbundenheit. Sie ist vielmehr Ausdruck und Folge davon, dass jeder Mensch und jedes lebendige Wesen seine Daseinsberechtigung in Würde von Gott hat – so wie ich auch. Und das weckt Achtung. Das weckt, die Fähigkeit, zurücktreten zu können, wenn es nötig ist. Das führt in die Haltung der Liebe.
In der Haltung der Liebe wird das, was aus einem Gefühl heraus unmöglich ist – nämlich „alles aus Liebe heraus zu tun“ – möglich.                                                                                    
                                                                                                                                                               Ihre 

Gemeindebrief 245

November und Dezember 2023 und Januar 2024

Aberglaube

Der Aber-Glaube Gottes

Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustos ausging, auf dass alle Welt geschätzt würde…

Der Beginn der Weihnachtsgeschichte, wie sie Lukas im 2. Kapitel seines Evangeliums erzählt. Wie sie weitergeht, ist wohl allen Gemeindebriefleserinnen und -lesern bekannt: Die hochschwangere Maria und ihr Verlobter Josef gehen nach Bethlehem, der Geburtsstadt Josefs, um sich ebenfalls in den Steuerlisten registrieren zu lassen. In dem überfüllten Ort finden sie keine Unterkunft, so dass Maria ihr Kind schließlich in einer Höhle gebären muss und es in einen Futtertrog legt. Eine wundersame Engelserscheinung treibt einige Hirten in derselben Nacht dazu, zu dem Stall zu gehen und das Neugeborene als den ersehnten Heiland anzubeten.
So begab es sich aber zu der Zeit…
Zu der Zeit der Regentschaft des Kaisers Augustus, einer Zeit, in der Stärke und Macht regierte, in der es um Ansehen und Reichtum ging, in diese Zeit fällt ein „Aber“.
Aber ist ein Wort des Widerspruchs, des Einspruchs. Wer „aber“ sagt, sagt: Moment mal! Da gibt es noch etwas anderes, etwas mehr. Mit der Geburt Jesu spricht Gott sein „Aber“ in die Welt – und setzt alle Absolutheiten, die heißen:
                          •  Es hat ja doch keinen Zweck!
                          •  Die Welt ist doch schon verloren.
                          •  Wir können die Uhr nicht zurückdrehen.
                          •  Nichts haben wir Menschen gelernt, wir machen alles immer noch schlimmer
seinen Einspruch gegenüber.
Und dieser Einspruch ist Gottes Aber-Glaube an die Welt. Es ist Gottes Den-noch-Glaube, mit dem er die Welt nicht verloren gibt.
Aber ein Kind wird allem Dunkeln und allem Hoffnungslosen zum Trotz geboren.
Und von Stund‘ an ist dieses Kind wie der Stachel im Fleisch von allem, was das Leben verneint.
Und Gottes Aber-Glaube an seine Welt ist seine Zusage, dass der von den Engeln verkündete Friede immer größer ist als alle Gewalt und Zerstörung. Und an Ostern findet er seinen Höhepunkt darin, dass das Leben den Tod überwindet.

Gemeindebrief 244

August, September und Oktober 2023

Sicherheit

 „…schön sind deine Namen. Halleluja Amen. Halleluja Amen“
So lautet der Refrain des Liedes: „Wir strecken uns nach dir“ im
Evangelischen Gesangbuch Nr. 664.
Gottes Namen sind schön.
Finden Sie diesen Gedanken merkwürdig oder gefällt er Ihnen?
Überhaupt: Wie sind denn Gottes Namen?
In der Hebräischen Bibel wird es vermieden, Gottes Namen zu nennen – aus Sorgefalt, um ihn nicht zu beschmutzen oder zu missbrauchen.
Gleichzeitig finden sich in der Bibel unzählige Namen und Anreden Gottes – in beiden Testamenten, im Ersten jedoch noch weit mehr als im Zweiten Testament.
Das ist deshalb kein Widerspruch, weil Menschen mit den Namen, mit denen sie Gott nennen, niemals sagen: Gott IST…– und damit meinen: so und nicht anders ist Gott. Ich habe ihn verstanden und sein Wesen ausgelotet.
Vielmehr nennen Menschen Gott mit Namen, die von ihren Erfahrun-gen mit Gott erzählen und von der Geschichte, die Gott mit ihnen schreibt.
Im Montagsspruch für den Monat August lesen wir:
                                      Du bist mein Helfer
                   und unter dem Schatten deiner Flügel frohlocke ich.
                                            Psalm 63,1

Und sogleich werden Bilder in mir geweckt, welche Erfahrungen der Beter mit Gott gemacht haben muss, dass er ihn so nennt.
Und ich denke weiter: Welche Erfahrungen verbinde ich mit Gott und wie möchte ich ihn deshalb nennen?

Und Sie – haben Sie auch Namen für Gott, die von Ihren Erfahrungen mit ihm erzählen, von Ihrem Glauben und von dem, wer und wie Gott für Sie ist?

Schön sind Gottes Namen – denn immer erzählen sie davon wie er, Gott, für uns – für jeden einzelnen Menschen – ist und sich uns zeigt, wenn „wir uns nach ihm strecken“ (EG 664).
                                                                  Ihre Pfarrerin  

Gemeindebrief 243

Mai, Juni und Juli 2023

Orte des Glaubens                   

Vom 07. Bis zum 11. Juni findet der evangelische Kirchentag in Nürn-berg statt. Auch aus unserer Gemeinde werden ein paar Menschen daran teilnehmen. Kennzeichnend für einen Kirchentag ist, dass er unter einem Motto steht, das in der Regel der Bibel entnommen ist. Das dies-jährige Motto lautet:
                                                     Jetzt ist die Zeit!
                                                     Hoffen. Machen.

Tatsächlich habe ich nicht herausfinden können, woher genau dieses Zitat aus der Bibel stammt. Etliche unterschiedliche Zusammen-hänge sowohl aus dem Ersten wie aus dem Zweiten Testament kommen in Frage.
Zum Beispiel Pred.3,1: Ein jegliches hat seine Zeit und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde.
Oder: Mk 1, 15: Die Zeit ist erfüllt. Das Himmelreich ist nah herbeige-kommen.
Ich bin gespannt, worauf sich die Auslegungen auf dem Kirchentag beziehen werden.
Für mich gehört die Erkenntnis, dass es für alle von uns genau zwei Tage im Leben gibt, an denen wir nichts tun können, nämlich gestern und morgen, zu den ebenso schlichten wie tiefgreifenden Einsichten. Unser Leben ist angefüllt mit Plänen für das Morgen – manchmal ist es auch angefüllt mit dem Hinterhertrauern von Vergangenem. Beides zu tun, ist menschlich. Doch eigentlich haben wir immer nur genau die Zeit, den Augenblick, in dem wir uns gerade befinden. Nur JETZT können wir leben. Nur JETZT können wir handeln. Nur JETZT ist Be-gegnung möglich. – Immer nur JETZT.
Und dieses „Jetzt“ gilt es als den richtigen Zeitpunkt für das notwen-dig zu Tuende zu entdecken. „Kairos“ nennt die griechische Bibel diesen genau richtigen Zeitpunkt, den es zu ergreifen gilt, sonst verstreicht er.
Von dem „Kairos“ spricht sie auch, wenn Jesus vom Himmelreich spricht, das mitten unter uns und inwendig in uns ist. Es muss JETZT ergriffen werden, um wahr zu sein.
Deshalb mag die Kirchentagslosung den Untertitel „Hoffen. Handeln“ haben. In jedem Augenblick unseres Lebens gilt es zu hoffen und zu handeln – oder hoffend zu handeln. Nur so kann das Himmelreich, Gottes Da-Sein in unserer Welt, sichtbar und wirklich werden.

                                                        Ihre Pfarrerin

Gemeindebrief 242

Februar, März und April 2023

Sterben                   

    Sara aber sagte: Gott ließ mich lachen.
                         1. Mose 21,6

Wissen Sie, wann Sie das letzte Mal so richtig herzhaft und aus vollem Hals gelacht haben – vielleicht so, dass Sie erst einmal gar nicht mehr aufhören konnten? – Vielleicht ja sogar so, dass Ihnen die Lachtränen über das Gesicht liefen?
Und erinnern Sie sich noch an die wohlige Erschöpfung, als der Lachanfall vorüber war und wie er gleichzeitig bei jeder kleinen Erinnerung an den Anlass des Lachens wieder drohte aufzubrechen?
Ich finde so ein Lachen herrlich.
Und ich glaube, viele von uns lachen eher selten so herzhaft und ansteckend und befreiend.
Alltäglich sind wohl eher andere Arten des Lachens:
Da gibt es das verschämte Lachen, das in sich Hineinkichern, das hämische Lachen gibt es auch; das verlegene Lachen; das bittere Lachen; das ungläubige Lachen…
Welches Lachen mag Sara gelacht haben, nachdem ihr Sohn Isaak geboren worden war, obgleich sie und Abraham viel zu alt waren, um noch Kinder zu bekommen?
Vielleicht klang in Ihrem Lachen ja von allem ein wenig mit.
Glauben aber will ich, dass Sara vor Glück lachte. Vor Glück über das Wunder, das ihr geschehen war. Sicher, in solch einem Lachen schwingt auch die Ungläubigkeit oder besser die Verwunderung mit – vor allem aber ist es dankbares Lachen. Es ist ein Lachen wie eine ursprüngliche Lebensäußerung der Freude, die keinen anderen Grund kennt, als das Leben selber.
Solch ein Lachen wünsche ich uns in diesen Monaten des Frühlings, von denen jetzt (kurz vor Weihnachten, wenn ich diese Zeilen schreibe) noch niemand weiß, ob wir Grund zum Lachen haben werden oder ob uns eher wegen alter und neuer Weltenprobleme das Weinen viel näher liegt.
Sicher ist aber, dass wir in den Erscheinungsmonaten dieses Gemeindebriefes das Fest feiern werden, vor dessen Hintergrund wir dem Tod, gleich in welcher Gestalt, ins Gesicht lachen können und das Leben als noch viel gewaltigere Kraft erfahren werden.
Mögen wir alle österlich lachen und singen können: „Die Welt ist mir ein Lachen mit ihrem großen Zorn. Sie zürnt und kann nichts machen …“– heißt es in dem Osterlied aus eg 112, 5. Mögen wir alle trotz aller Todesmächte, die uns persönlich und unsere Welt bedrohen, in diesen Frühlingsmonaten so lachen können und unser Lachen aller Dunkelheit als Lebenskraft entgegensetzen!
                                                                               Ihre 

Gemeindebrief 241

November und Dezember 2022 und Januar 2023

Stark und Schwach

                            Du bist ein Gott, der mich sieht.
                            (Gen 16,11: Jahreslosung 2023)

Hagar, die Magd Sarahs, der Frau Abrahams, ist in der Wüste. Unfreiwillig ist sie dort. Denn – auf Geheiß seiner Frau – hatte Abraham mit Hagar geschlafen, um den ersehnten Sohn zu zeugen, weil Sarah nicht schwanger werden konnte. Nun ist Hagar schwanger und Sarah erträgt den Anblick des sich immer mehr wölbenden Bauches ihrer Magd nicht. Von Abraham holt sie sich die Erlaubnis, mit Hagar zu tun, was immer sie will – nur sicher nichts Gutes. Und Hagar? Voller Angst vor Sarah flieht sie in die Wüste, bevor Sarah Hand an sie legen kann. Alleine. Frau. Schwanger und in der Wüste. Das war damals (und ist sicher auch heute) keine gute Kombination. Es ist eine Situation, in der Hagar weiß, dass sie dem Tod geweiht ist. Erschöpft und gänzlich entmutigt begegnete ihr in dieser Situation Gott. Er spricht ihr zu und lässt sie einen Brunnen entdecken, der sie vor dem Verdursten rettet. Er öffnet Hagar eine Perspektive für sich und für ihren ungeborenen Sohn. Und Hagar antwortet Gott: Du bist ein Gott, der mich sieht.
In der eigenen Not gesehen zu werden. Wahrgenommen zu werden, mit allem, was schwer ist, was einen wie vom Leben abschneidet. Mut zugesprochen zu bekommen – Mut, der nicht nur ein: „Es wird schon wieder“ ist. – Und dazu nicht verurteilt zu werden – auch nicht angesichts von gemachten Fehlern und auf sich geladener Schuld. Das tut unendlich gut. Das ist die Erfahrung der Hagar.
Die Jahreslosung für das Jahr 2023 öffnet uns den Blick, uns selbst, in welcher Lebenssituation auch immer, als von Gott liebevoll und aufrichtend angesehen zu wissen. Und sie führt uns zu der Hoffnung, dass Gott, der uns so ansieht, auch seine ganze Schöpfung ebenso ansieht. Daraus erwachsen Segen und Leben, das wir in die Hand nehmen und in die Tat für unsere Welt und alles, was in ihr dunkel ist, umsetzen können.
Ein getrostes (Kirchen)Jahr 2023 wünscht Ihnen,                 
                                                                                Ihre 

Gemeindebrief 240

August, September und November 2022

Sprache

                     Gott lieben, das ist die allerschönste Weisheit.
                      (Sirach 1, 10 – Monatsspruch für September)

Es ist Mitte Juni. Der Sommer nimmt Fahrt auf und ist dabei, seinen Höhepunkt zu erreichen. Viele freuen sich auf Ferien und Freizeit, auf andere Gegenden oder sogar Länder, auf Erholung und Ausspannen vom Alltag. Wie wichtig sind solche Zeiten für alle Menschen! Und zugleich scheint es mir, als wäre für uns die Zeit der Unbeschwertheit vorbei, wenn wir auf das Jahr seit dem vergangenen Sommer schauen. Die Flutkatastrophe vor einem Jahr, der Krieg in der Ukraine seit Ende Februar, immer noch Corona und dazu all die Dinge, die für manche von uns lästig und unliebsam sind, andere an den Rand ihrer Existenz führen, wie die Preissteigerungen u.a.m. Und schauen wir über uns und das Leben, was uns unmittelbar angeht, hinaus in die eine weite Welt, sehen wir die verheerende Dürre in Somalia, die Hunderttausende Tote – vor allem unter Kindern – fordern wird, wenn „wir“, die westlichen Industrienationen, nicht handeln. Die Situation – vor allem der Frauen und Mädchen – in Afghanistan, die sich immer weiter verschärft. – Die Bedrohung indigener Völker auf dem südamerikanischen Kontinent… Es gibt so viel, was das Leben und unsere Welt bedroht und uns zu tiefst erschreckt, wenn wir es sehen.

Ein unbeschwerter Sommer? – Ich wünsche ihn allen Lesenden und ich wünsche ihn allen Menschen in unserer gerüttelten Welt.
Das gehört ja zu dem Geheimnis des Lebens, dass es immer alles birgt: Schweres und Leichtes, Dinge, die unser Entsetzen hervorrufen, und Dinge, die uns staunen machen und dankbar. Im Staunen und in der Dankbarkeit öffnet sich uns das Verstehen von Gottes Liebe zu uns und wir antworten auf diese Liebe.
Vergessen wir also das Staunen und die Dankbarkeit nicht! Sie nähren unsere Kraft, um dem zu begegnen, wovor wir (manchmal) am liebsten weglaufen oder doch wenigstens die Augen schließen wollen.
Bleiben Sie behütet in dem Wunder Leben, das wir Gott verdanken.
                                                                                  Ihre 

Gemeindebrief 239

Mai, Juni und Juli 2022

Durst/Trinken

Ich wünsche dir in jeder Hinsicht Wohlergehen und Gesundheit,
so wie es in deiner Seele wohlergeht
3. Joh 2–Monatsspruch für Mai

Was für ein wunderbarer Wunsch!
Der Schreiber des dritten Johannesbriefes in unserem Neuen Testament setzt diesen Wunsch an den Anfang seines kleinen Briefes.
Wohlergehen und Gesundheit – wer wünschte sich das nicht!
In jeder Hinsicht auch noch! Das lässt nicht zu, dass es irgendetwas gibt, das von diesem Wohlergehen und von der Gesundheit ausgenommen wäre –  Auch der Seele soll es wohlergehen.

Wir wissen, dass solch ein lasten-, krankheits- und leidensfreies Leben eher zu den Ausnahmezeiten gehört. Meistens gibt es irgendetwas, was das Wohlbefinden beeinträchtigt – körperliche Schmerzen oder Krankheit, Sorgen, die auf der Seele liegen. Und wenn es gerade im eigenen Leben nichts gibt, was beschwert, dann gibt es genug um uns herum – bei Menschen, die uns nah sind oder bei Menschen, die weit weg von uns leben und deren Schicksal uns angeht und in der Weltgeschichte – der kleinen wie der großen.

Nein, solch ein Wunsch, wie ihn der Schreiber des 3. Johannesbriefs ausspricht, wird sich kaum einmal umfassend erfüllen.
Und doch:
Es wohnt in ihm eine große Kraft. Und ich frage mich, was wohl geschehen würde, wenn wir einander IMMER mit diesem ganz und gar ehrlich gemeinten Wunsch begegnen würden: den Menschen, die wir mögen und den Menschen, die wir nicht mögen; den Menschen, mit denen wir gut und freundlich zusammenleben oder -arbeiten und den Menschen, an denen wir uns reiben, die es uns schwer machen.
Was würde geschehen?
Ich glaube, es würde ein Geist der Versöhnung und Achtung unter uns wachsen und er würde uns stärken, in dem Menschen neben uns unabhängig von unserer Sympathie oder Nähe zu ihm, immer die Menschenschwester und den Menschenbruder zu sehen, die und der ist wie wir.
Ich bin sicher: Es würde nicht weniger Leid und Not und Schmerz, nicht weniger Konflikt und Streit geben.
Und alles wäre durchwoben von Achtung und davon einander wert-zuschätzen.
Und das – das muss (schon fast) das Paradies sein!
                                                                              Ihre Pfarrerin     

Gemeindebrief 238

Februar bis April 2022

Trotzdem

                                     Dennoch bleibe ich stets an dir,
                          denn du hältst mich bei meiner rechten Hand.
                                               Psalm 73, 23

So übersetzt Martin Luther diesen Vers aus dem 73. Psalm, der ursprünglich in hebräischer Sprache geschrieben ist. „Dennoch“ – „Trotzdem“ - ob ich das Wort „trotzdem“ in Luthers Bibelübersetzung auch finde? Ich schaue in der Konkordanz, dem Stichwortverzeichnis zur Bibel, nach: Trotzdem gibt es in der Übersetzung nach Luther nicht – „Dennoch“ insgesamt 49 x. Warum das Wort „Dennoch“, aber nicht das Wort „Trotzdem“?
Der 73. Psalm ist wie viele andere Psalmen ein Psalm, in dem der Beter klagt und mit einer bildhaften Sprache aus seiner Lebenswelt seine Not beschreibt und Gott vorhält: Er wird von seinen Mitmenschen bedrängt – heute würde man sagen: Er wird gemobbt.
Ungeschönt beschreibt der Beter wie er seine Situation erlebt und empfindet – und kommt schließlich zu dem Schluss: Ganz gleich, was auch immer mir geschieht und mich von meinem Glauben und meinem Vertrauen in Gott wegzutreiben droht: Ich bleibe DENNOCH an Gott.
Es ist dieser Dennoch-Glaube, der den Beter stark macht. Statt sich im Kampf gegen das zu erschöpfen, was sich nicht ändern lässt und sich trotzig dem Leid entgegen zu stemmen, anerkennt es der Beter und stellt neben alles, was ihn leiden macht, seinen Glauben und sein Vertrauen in Gottes Treue und Dasein.
Damit wird der Beter zu einem Spiegel Gottes selbst. Denn auch Gott kämpft nicht gegen die Schrecken unserer Welt. Mit Jesus Christus stellt er eine andere Wirklichkeit in die Wirklichkeit der Welt hinein.
Und wir können getrost sein: Alle Schrecken, die unsere Welt uns zeigt, wenn dieser Gemeindebrief Anfang Februar 2022 in Ihre Häuser kommt, ist nicht die einzige Welt-Wirklichkeit, die es gibt.
In, daneben und alles andere umfangend steht Gottes Wirklichkeit der Liebe und Barmherzigkeit, der Treue und des DENNOCH bei uns Bleibens.
Dennoch können auch wir an ihm bleiben.                                                                   
                                                                                             Ihre 

Gemeindebrief 237

November, Dezember 2021 und Januar 2022

Warten  

                                  Jesus Christus spricht:
               Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.
                            Joh 6, 37 (Jahreslosung 2022)

Abgewiesen zu werden – wer hat diese Erfahrung nicht irgendwann schon mal gemacht.
       •  Mit einem Bedürfnis nicht wahrgenommen zu werden,
       •  Mit einer Bitte nicht gehört zu werden,
       •  Mit einem Anliegen nicht ernst genommen zu werden.
Das zu erleben, gehört zu unserem Leben dazu.
Das zu erfahren hinterlässt einen bitteren Geschmack.
Es kann sein, dass man nach solch einer Erfahrung zornig wird.
Ich glaube, Menschen, die voller Wut sind, haben diese Erfahrung des nicht Gesehenwerdens in ihren Bedürfnissen, des Abgewiesenwerdens mit ihren Anliegen und Bitten vielfältig gemacht. Vielleicht sind sie sogar verlacht worden.
Es kann auch sein, dass man sich nach solch einer Erfahrung seiner selbst schämt, dass man sich ganz klein – besser noch unsichtbar – machen möchte.
Abgewiesen worden zu sein weckt dann das Gefühl, falsch zu sein.
Das kann einen Menschen bis in die Tiefe des Lebens lähmen.
Und beide, der wütende, zornige Mensch ebenso wie der sich am liebsten in sich selbst verbergende Mensch kann nicht frei leben.
Um frei und aufrecht zu leben sind wir geschaffen – lesen wir im ersten Schöpfungsbericht der Bibel.
       •  Um uns daran mit seinem eigenen Leben zu erinnern,
       •  um in unseren Seelen das Wissen um diesen Gottessegen, den  
            er über die ersten Menschen ein für alle Menschen spricht
            wieder wach zu rufen
       •  um die, die ihm begegnen wieder aufzurichten zu einem
            aufrechten und freien Leben
dazu ist Jesus gekommen. Deshalb weist er niemanden ab, der zu ihm kommt – mit welchem Anliegen, mit welcher Sehnsucht, mit welcher Not auch immer – und hört und sieht und nimmt es samt dem Menschen in seinen Segen.

Ein segensreiches Jahr wünscht Ihnen
                                                                                                                                                                   Ihre

Gemeindebrief 236

August, September und Oktober 2021

Ökofairer Kirchenkreis

Kennen Sie auch noch den Satz von Eltern oder Leherer:innen nachdem Sie als Kind irgendeinen Unsinn gemacht haben: Der liebe Gott sieht alles!
Ein Ansporn ehrlich zu sein, sollte dieser Satz sein. Oftmals war er aber eine versteckte Drohung, die manchem Kind einen vertrauensvollen und fröhlichen Glauben verstellt hat.
Im Monatsspruch für August hingegen bittet jemand inbrünstig darum, dass Gott hören und sehen möge.
                                     Neige, Herr, dein Ohr und höre!
                                Öffne, Herr, deine Augen und sieh her!
                                                (2. Kön 19,16)

König Hiskia von Juda betet so, als er in großer Bedrängnis ist. Er fleht zu Gott, dass Gott seine Worte hören und seine Not sehen möge. Das Gegenteil von einer Drohung ist dieses Gebet. Es ist der Hilferuf eines Menschen, der weiß, dass Gottes Blick nicht bloßlegend und (ver)urteilend ist, sondern freundlich und heilsam. Dieses Gebet ist der Ruf nach dem allen Menschen in Not solidarischen Gott, vor dem kein Leid verborgen und keine Situation schön gemacht werden muss. Der Beter ruft nach dem Blick Gottes, der sich nicht vom Augenschein leiten lässt, sondern in die Tiefe blickt und den Menschen in und hinter seiner Not erkennt.
Mit diesem Blick hat Jesus diejenigen angesehen, die zu ihm kamen und Heilung suchten.
Dieser Blick Gottes ruht auf jedem Menschen. In diesem Blick ist jeder Mensch angesehen vor Gott.
Das ist ein schöner Gedanke. Und es ist ein Gedanke, der zu einem Wegweiser in unserem menschlichen Miteinander werden kann: Wenn ich merke, dass sich mein Blick auf jemand anderen verdunkelt, weil ich in ihm oder ihr jemanden sehe, der mir fremd oder gar feindlich ist und ich stelle mir vor, wie dieser Mensch unter Gottes Blick zu einem angesehenen Menschen wird. Dann kann ich den oder die Andere achten, ohne ihn oder sie mögen zu müssen.
In diesem Sinn wünsche ich Ihnen reiche Augen-Blicke.
                                                                                                                                              Ihre Pfarrerin

Gemeindebrief 235

Mai, Juni und Juli 2021

Ich

                        Öffne deinen Mund für den Stummen,
                              für das Recht aller Schwachen.
                            Spr. 31,8 – Monatsspruch für Mai

Das ist klar und eindeutig. An dieser Aufforderung muss nichts gedeutet werden. Es geht darum, denen eine Stimme zu geben, die keine Stimme haben und sich für deren Recht stark zu machen, die kein Recht haben.
Menschen ohne oder mit nur geringer Lobby also – Menschen mit traumatischen Erfahrungen können das sein oder Menschen mit psychischen Erkrankungen. Kinder können das sein und alte Menschen; Menschen ohne festen Wohnsitz und Menschen mit einer Behinderung, Geflüchtete hier bei uns und weltweit. Menschen, die in „vergessenen“ Gegenden der Welt leben, weil diese Länder für uns hier in Europa wirtschaftlich nicht interessant sind…
Die Liste ließe sich fortsetzen.
Aber warum soll man diesen und anderen Menschen seine Stimme leihen?
Antwortmöglichkeiten gibt es etliche. Z. Bsp. weil man damit ein gutes Werk tut.
Daran ist nichts verkehrt.
Der eigentliche, tiefere Grund aber liegt woanders.
Eine freie Übersetzung des Liebesgebots: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, lautet:
                      Liebe deinen Nächsten, denn er ist wie du.
Mit dieser Haltung: „mein Mitmensch ist wie ich“ gerät ein Eintreten für einen anderen Menschen nicht in die Schieflage des starken, helfenden Menschen auf der einen und des bedürftigen, hilflosen Menschen auf der anderen Seite, sondern Eintreten für einen anderen Menschen oder ihn zu unterstützen ,geschieht dann immer auf Augenhöhe und in der Haltung: Es mag sein, dass sich unsere Situation unterscheidet – und diese Situation mag glücklichen oder unglücklichen Umständen geschuldet sein – nicht unterschieden sind wir in unserem Menschsein. Und Menschsein heißt immer auch angewiesen zu sein, bedürftig zu sein. So werden wir geboren und so sterben wir, wenn wir alt und hochbetagt sterben. Kein Mensch ist davon ausgenommen, zu erfahren, dass er einen anderen braucht. Und deshalb ist es gut, wenn der Schrei für die Stummen und Rechtlosen aus dem Mund derer erfolgt, die um die Zerbrechlichkeit des eigenen Lebens wissen und die wissen: Der andere ist wie ich – und ich kann sein und in eine Situation geraten, die ist wie die des anderen.
                                                                                                                                                                  Ihre  Pfarrerin

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Gemeindebrief 234

Februar, März und April 2021

Demut

Mit dem Erscheinen dieses Gemeindebriefs beginnen wir auf Ostern zuzugehen. Die Geschichte, wie Jesus nach Jerusalem einzieht, gehört zu den zentralen Texten dieser Zeit: Jesus reitet vor dem Passahfest auf einem jungen Esel in die Stadt Jerusalem. Die Menschen am Straßenrand bejubeln ihn. Seinen Jünger*innen ist das peinlich. Sie drängen ihn, die Menschen zum Schweigen zu bringen. Und Jesus antwortet ihnen:
                                            Ich sage euch:
        Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien.
                             Lk 19, 40 (Monatsspruch für März)

Eine auf den ersten Blick merkwürdige Antwort. Distanziert, fast arrogant lässt sie Jesus wirken. In dieser Antwort ist Jesus nicht der Menschenfreund, der Bruder der Entrechteten, sondern der Träger einer Wahrheit, die größer ist als alles Menschenerdachte. - Ein Vorschein auf das Geheimnis von Gottes Menschenweg durch das Kreuz hindurch in Auferstehung an Ostern, in dem die Wahrheit unseres Daseins und Lebens liegt, scheint in Jesu Worten auf.

Ich denke an unsere so menschlichen Streitigkeiten und Rechthabereien, die wohl jeder Mensch aus Familie, Beruf und Alltag kennt. Wie sehr mühen wir uns da oft, Recht zu haben. Und wie sehr hängt unser eigenes Wohlbefinden daran, auch Recht zu bekommen!
Wie ungemein entlastet ist diese Antwort Jesu an seine Jünger*innen da.
„Lass los, was du für richtig oder angemessen hältst und was du unbedingt zum Recht bringen willst!“ – höre ich in seinen Worten. „- Und trau der Wahrheit zu, dass sie sich Bahn bricht!“

Jesu Antwort entlastet Einzelne, Recht haben zu müssen, weil es nicht darum geht, dass ein Mensch Recht hat, sondern dass zu seinem Recht kommt, was dem Leben dient und die Welt hält.
Und so ist diese Antwort Jesu eine Erinnerung daran, dass es keinen Gesichtsverlust bedeutet, demütig mit der eigenen Meinung zurück zu treten, damit die Wahrheit Raum bekommt. Die Wahrheit, die mehr und ganz anderes ist, als Recht zu haben, die immer größer ist als ein einzelner Mensch es erfassen kann.

                                                                                   Es grüßt Sie                                                    
                                                                                   Ihre 

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Gemeindebrief 233

November und Dezember 2020 und Januar 2021

Zeit       

Barmherzigkeit – was ist das?
Wie geht: barmherzig sein?
Ist es:  anderen helfen, die in Not sind?
Ist es:  sich denen zuwenden, die Trost brauchen?
Ist es:  mit offenen Augen und weitem Herzen durch die Welt gehen und
            anderen Menschen gegenüber nicht gleichgültig zu sein?
Ist es:  sich von dem, was Andere niederdrückt, berühren zu lassen?
Ist es:  sich zu Herzen zu nehmen, was einen im Grunde gar nicht selbst   
            betrifft?
Ist es …

Was bedeutet es, Barmherzigkeit zu erfahren?
Ist es:  sich in seiner Not nicht verstecken zu müssen?
Ist es:  Hilfe zu erfahren oder Trost?
Ist es:  heilsam berührt zu werden an Leib und Seele – dort wo einen Unheil
             ereilt hat?
Ist es:  geborgen zu sein und gehalten wie auf einem Vaterschoß und wie in
            Mutterarmen?
Ist es:  nicht bewertet oder verurteilt zu werden, sondern an-gesehen mit
             liebevollem Blick?
Ist es: …
Jesus Christus spricht:
Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.
Lk.6, 36 (Jahreslosung 2021)

„Barmherzigkeit“ – In der Hebräischen Bibel ist das ein Wort, das häufig   in Verbindung mit Gott genannt wird. Wörtlich übersetzt bedeutet das Wort: „Gebärmutter“ oder „Mutterschoß“.
Gottes Barmherzigkeit zu erfahren, bedeutet also in großer Nähe zu Gott zu sein und diese Nähe auch zu erfahren – wie im Mutterschoß.
Barmherzig zu sein bedeutet also: Sich andere Menschen zu Herzen gehen zu lassen und sich ihrer anzunehmen – nicht wie von oben herab, weil man es besser weiß, sondern wie mit weit geöffneten Mutterarmen, die lieben und bergen und dafür keine Bedingungen stellen.

Barmherzigkeit – ist all das und noch viel mehr.
Wo haben Sie schon einmal Barmherzigkeit erfahren  
         - wo haben Sie sie gegeben?

Ein segensreiches Jahr wünscht Ihnen            
                                                                                         Ihre

 

 

Gemeindebrief 232

August, September und Oktober

Wald

                  Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin;
                 Wunderbar sind deine Werke, das erkennt meine Seele.
                                                  Ps 139,14 (Monatsspruch für August)

In den 80er oder 90er Jahren schwappte eine Welle aus Amerika zu uns, die hieß: „Ich bin ok – du bist ok“. Die Botschaft war: Hör auf, ständig an dir und anderen herum zu kritisieren. Akzeptiere dich selbst und andere und lass dich und das Miteinander nicht von nicht ständigen Vergleichen und Bewertungen bestimmt sein lassen.
Solche Denk-positiv-Sätze haben sich etabliert. „Du musst an dich glauben“ ist ein wichtiges Credo im Bereich des Sports oder in dem, was Eltern ihren Kindern mit auf den Weg geben. Manche
Coaching-Methoden arbeiten fast nur mit solchen Denk-positiv-Sätzen und Suggestionen.

Wie anders klingt da der Vers aus dem 139. Psalm, der Monatsspruch für August.
Kein Hauch von beschwichtigender Selbstrechtfertigung: „Ich bin ok.“, keine Aufforderung zur Selbstoptimierungsparole: „Du musst nur an dich glauben.“
Stattdessen: der Blick von sich selber weg hin zu Gott – ein Gebet.
                                  Ich danke DIR, dass ich wunderbar gemacht bin.
Nicht ich muss mich meiner selbst vergewissern und mich selbst bestätigen.
Das „Ja“ zu mir und meinem Leben ist mir längst gegeben. Es ist der Grund aus dem ich bin.
Und dieses „Ja“ ist staunenswert. Es ist weit mehr als ein „ok“. Es sagt: Du Mensch bist Teil des großen Wunders Leben, das von Gott herkommt und das kein Mensch in seiner Tiefe und Weite, in seiner Größe und Unfassbarkeit ergründen kann.
Und als Teil dieses Lebens – in das eingebunden und verbunden du lebst
                                  Wunderbar sind deine Werke, das erkennt meine Seele.
– bist du einzigartig und besonders. Nicht, weil du dich selbst dazu machst, nicht weil andere dich gut sprechen, sondern weil du das Leben trägst, das von Gott kommt und du gerufen bist, dieses Gottesgeschenk Leben durch dich in die Welt strömen zu lassen.
Größer kann man wohl nicht von einem Menschen denken – und auch nicht von sich selbst.                                                                                                                                                                                                                         
                                                                                       Ihre

Gemeindebrief 231

Mai, Juni und Juli

Lachen

 

Ich glaube, kaum etwas erschüttert uns so sehr, wie wenn das, was wir bislang für sicher hielten: unsere Gesundheit, unser Wohlstand, unsere Stellung, unser Friede … bedroht ist.
In den vergangenen Wochen - und womöglich auch noch in diesen Wochen hat sich wohl kaum ein Mensch den Empfindungen entziehen können, die das Auftreten und sich Verbreiten des Coronavirus hervorgerufen hat.
Die teilweise massenhaften und wenig sinnvollen Einkäufe legten ein sichtbares Zeugnis von dieser Erschütterung ab und von dem so großen Wunsch nach Verlässlichkeit und Sicherheit.
Doch diese Sicherheit haben wir nicht und können wir auch nicht herstellen. Jede Sicherheit ist immer eine wenigstens bedrohte oder sogar trügerische Sicherheit.
In der Spannung zu leben, als Menschen einerseits auf Sicherheit und Geborgenheit angewiesen zu sein und andererseits zu wissen, dass wir mit nichts unser Leben so (ver)sichern können, dass es nicht mehr bedroht ist, müssen wir leben.
Das ist theoretisch klar und praktisch bisweilen unendlich schwer.
Ich glaube sogar, dass es (fast) nur möglich ist, wenn wir uns an etwas halten, das jenseits all dessen liegt, worin wir alltäglich unsere Sicherheit gründen.
Die neutestamentlichen Schriften des Paulus und anderer Schreiber kreisen mit ihren Predigten und Mahnungen immer wieder um diese Frage. Und ihre Antwort ist immer dieselbe: Der einzige Grund und Halt im Leben wie im Sterben, der unverbrüchlich ist und wirklich sicher ist, dass wir uns in Jesus Christus gründen.
Und das wiederum entzieht sich unserem Verstand. Dass dieser Traggrund tatsächlich hält, können wir nur mit dem Schritt des Glaubens begreifen.
Mir sind diese Gedanken in diesen Wochen wieder nähergekommen und mich begleitet Paulus großer Satz aus Röm 8, 38.39:

Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist, unserem Herrn.

 

 

Gemeindebrief 230

Februar, März und April

Rituale

          Jesus Christus spricht: Wachet!

                       Mk 13,37


Was für ein Monatsspruch! Knapper geht es kaum. Eine Aufforderung, eine Anweisung mit Ausrufezeichen fast wie ein Befehl in nur einem Wort:
Wachet!
Es ist ein Ruf, der einen seiner Ursprünge in der frühchristlichen Zeit hat. Nach Jesu Tod und Auferstehung und nach seiner Himmelfahrt lebten die Menschen in einem zeitlichen Provisorium. Sie rechneten damit, dass Jesus sehr bald - noch zu ihren Lebzeiten - wiederkäme und den Jüngsten Tag anbreche.
Die Zeichen dafür zu erkennen, bemühten sie sich, denn vorbereitet wollten sie sein. Sie wollten nicht von dem Ende der Welt überrascht werden und unvorbereitet vor Ihren Gott und Richter treten.
Nur kurz dauerte diese Zeit der sog. Naherwartung. Schon bald wurde den Menschen klar, dass der jüngste Tag und das göttliche Weltgericht nicht kurz bevor standen.
Der Ruf: Wachet! verlor dennoch nicht an Bedeutung. Die Komplet, das Nachtgebet in Klöstern, beginnt mit der Aufforderung:
Seid nüchtern und wacht, denn euer Widersacher der Teufel schleicht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge. (1. Petr. 5, 8)
Die Wachsamkeit gilt als christliche Tugend. Sie hilft dabei, sich nicht einnehmen und verführen zu lassen von allem Möglichen, was das Leben scheinbar angenehmer und leichter macht - sei es äußerlich wie Reichtum und Anerkennung oder innerlich wie Bequemlichkeit und Selbstverliebtheit.
Die Wachsamkeit hilft dabei, dem Leben aufmerksam und achtsam zu begegnen, zu erkennen, was not tut zu tun und zugleich nicht beständig in die eigenen Lebensfallen zu stürzen, die die Bibel Versuchungen nennt.
Der Ruf zur Wachsamkeit ist und bleibt hoch aktuell:
Auch wenn wir heute kaum noch religiöse Begriffe und Deutungen heranziehen um die Bedrohungen in unserer Welt, in unserem Miteinander und für uns selbst zu benennen, sind sie dennoch teuflisch gegenwärtig und mächtig. Den meisten Raum bekommen sie durch Unaufmerksamkeit und Trägheit.
Was wir heute - vielleicht mehr denn je - brauchen, denn es steht mehr denn je das Fortbestehen unserer Welt und aller Menschlichkeit auf dem Spiel, ist Wachsamkeit verbunden mit Mut, hinzusehen und zu erkennen, wo und wie die Welt bedroht ist, es auszusprechen und zu handeln.

In diesem Sinn wünsche ich Ihnen ein hellwaches Jahr!                                           
 

 

 

Gemeindebrief 229

November, Dezember 2019 und Januar 220

Schenken

          Ich glaube, hilf meinem Unglauben.
                           Mk 9, 24

Kurz und knapp ist die Jahreslosung für das Jahr 2020 - und ebenso verwirrend. Was ist denn nun? - möchte man fragen. Glaubt dieser Mensch; der das sagt, nun, oder glaubt er nicht?

Dieser Mensch, der das sagt, ist ein verzweifelter Vater, dessen Sohn offensichtlich ein Anfallsleiden hat, das ihn selbst und seine ganze Familie an den Rand des Erträglichen treibt und an Gottes Barmherzigkeit zweifeln lässt.

Sein paradoxer Ausruf bringt sein Dilemma, seine ganze Seelennot angesichts des Leides seines Sohnes, sein Schwanken zwischen Hoffnung und Verzweiflung, zum Ausdruck.
Und ich finde mich bei dem Gedanken: Wie gut, dass der Evangelist Markus von diesem Vater berichtet!
Heilsam ehrlich und wahrhaftig kommt er mir mit seiner Zerissenheit entgegen. So anders erlebe ich, was in unserem Zusammenleben - vor allem in jedem öffentlichen Auftreten in Politik und Gesellschaft gefordert ist. Oft gilt dort: Recht hat, wer einen Standpunkt hat und diesen Standpunkt möglichst laut vertritt. Antworten, die eindeutig sind und keine Zweifel zulassen, werden als wohltuend empfunden in unserer komplexen und komplizierten Welt, die einen einzelnen Menschen leicht überfordern kann. Zweifel und Unsicherheiten sind nicht das, was Orientierung und Halt geben können.
Gut kann ich die hinter dieser Haltung liegende Sehnsucht nach Sicherheit verstehen. Und trotzdem glaube ich: Was nötig ist - in unserer heutigen politischen und gesellschaftlichen Situation - was auch nötig ist für uns als Kirche - ist gerade nicht die Demonstration von Unangefochtenheit. Was nötig ist, ist Wahrhaftigkeit. Eine Wahrhaftigkeit bei den Verantwortlichen, die ihre Erschütterung, ihr Zweifeln, ihre Verzagtheit erst nehmen und mit nehmen und zum Antrieb werden lassen zu fragen und zu suchen - die mit ihren Fragen, Zweifeln und Unsicherheiten miteinander um Lösungen und Wege zu ringen, die unsere Gesellschaft und auch unsere Kirche dem Leben dienen lassen. Nicht um Antworten ohne Fragen, nicht um Stärke gegen Ohnmacht, nicht um Glauben jenseits von Zweifeln kann es gehen. Sondern darum, Antworten wegen der Fragen zu finden, Stärke, die um die Ohnmacht weiß, und Glauben, der vom Zweifel lebendig gehalten wird.
Deshalb: Mutiges Zweifeln und Fragen auf Ihren Wegen im neuen Jahr wünsche ich Ihnen!
                                                                                                                        Ihre

 

 

Gemeindebrief 228

August, September und Oktober 2019

Ernten

Die Welt brennt.
Das Klima bereitet Menschen größte Sorgen. Wir fragen, ob seine Erwärmung noch anzuhalten ist.
Naturkatastrophen - Überschwemmungen - Dürre - Tsunamis nehmen zu.
Immer wieder flammen (fast) überall auf der Welt bewaffnete Konflikte auf.
Die Schere zwischen Reich und Arm vergrößert sich.
Es sind so viele Menschen weltweit auf der Flucht, wie nie zuvor.
Der Bedarf, aktiv zu werden, sich zu engagieren ist groß.
So nötig ist es, dass nicht nur wenige, sondern viele - alle Menschen - das Ihre dazu tun, um die Welt auf Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung hin  zu gestalten.
Mitten in dieser Situation begegnet uns ein Satz von Jesus, der unseren Blick von außen nach innen, hin zu uns selbst lenkt.                                                                                                                         
           „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne
             und nähme doch Schaden an seiner Seele? „
             Mt 16,26 (Monatsspruch für September)


Über die „Nachfolge“ spricht Jesus, als er diesen Satz sagt. Das meint, dass ein Leben in den Spuren Jesu nicht geht, ohne voll und ganz mit dem ganzen Menschsein beteiligt zu sein.
Als Menschen werden wir sichtbar mit unserer Seele - mit dem „Ort“, in den Gott uns die von ihm herkommende Würde eingepflanzt hat.
Können wir die Würde in uns selbst erkennen, erkennen wir sie auch in unseren Mitmenschen und in der ganzen Schöpfung.
Das eine geht nicht ohne das andere.
Das ist eine Weisheit, die auf unterschiedliche Weise tief in vielen Religionen und Kulturen verankert ist.
Der Indianerhäuptling Seattle hat sinngemäß gesagt: Was wir der Welt, der Natur und den Tieren antun, dass tun wir uns selber an.
Wo wir Gewalt und Aggression tolerieren, eigenen Vorteil ohne Rücksicht verfolgen, uns von Machtlust und Besitzstreben leiten lassen, verletzen wir nicht nur andere, sondern auch uns selbst. Dann verfehlen wir unser Menschsein.
Deswegen braucht Achtsamkeit immer alle drei Dimensionen: den Blick zu den anderen, den Blick zu sich selbst und beides getragen von dem Blick auf Gott.    

                                                                                                       Ihre

 

 

Gemeindebrief 227

Mai, Juni und Juli 2019

Zusammenleben in Hüls

Geh aus mein Herz und suche Freud
in dieser schönen Sommerszeit an deines Gottes Gaben;
schau an der schönen Gärten Zier und siehe wie sie mir und dir
sich ausgeschmücket haben, sich ausgeschmücket haben.
                                                   Text von Paul Gerhard - eg 503

Während ich diesen Gedanken schreibe, ist der 1. April. Ich sitze am Schreibtisch und die Sonne wärmt mir den Rücken. Es ist herrliches Frühlingswetter. Es zieht mich raus in den Garten, in den Wald, in die Natur. Täglich bricht neues Grün hervor. Wenn dieser Gemeindebrief erscheint, wird es kaum noch kahle Bäume und Sträucher geben und die erste Blüte wird vorbei sein.
Es ist ein Wunder - jedes Jahr von Neuem: das Aufbrechen des Lebens, das Grünen und Blühen und ebenso später im Jahr das Wachsen und Reifen, die Ernte und auch das (scheinbare) Ruhen der Natur im Winter.
Die Natur in ihren Jahreszeiten ist ein Wunder, das selbst nüchterne Menschen das Staunen lehrt. Und kaum jemand, der nicht aufatmet, wenn die Tage länger werden und die Sonne beginnt zu wärmen.
Paul Gerhard, dem Dichter dieses Liedes aus unserem Gesangbuch, war die Natur in ihrer Schönheit Erweis der Gegenwart und der Treue Gottes. Nach dem Dreißigjährigen Krieg mit seiner furchtbaren Bilanz an getöteten Menschen und verwüsteten Landschaften und Orten, war der stete Kreislauf der Natur ein Bild für das Fortbestehen des Lebens und deshalb tröstlich.
Die Bedrohung des Lebens heute hat eine andere Dimension erreicht als zur Zeit des Dreißigjährigen Kriegs. Denn über die durch Krieg bedrohten Menschen und Städte hinaus ist die gesamte Natur hier bei uns ebenso wie weit weg von uns schon längst so schwer verwundet, dass nicht mehr alle ihre Wunden werden heilen können, in den Regenwäldern Asiens und Südamerikas und in den Steppen Afrikas und anderswo. Jetzt ist es an uns - Menschen - für die  Natur zu Zeichen für Gottes Gegenwart und Treue zu werden.
Wir leben in einer Welt, in der alles Leben aufeinander angewiesen und in einem wechselseitigen Dienst einander zugewiesen ist. Der Natur zu dienen, damit die Vielfalt des Lebens auf dem Land und im Wasser, in Pflanzen und Tieren erhalten bleibt und die Natur als absolut schützenswert und die Welt als Lebensraum für alles, was lebt zu begreifen, darin sehe ich  die Aufgabe, die uns aus dem Staunen an der Natur, an Frühling und Sommer erwächst, - damit sich auch die Generationen nach uns noch freuen können, wenn der Frühling kommt und es Sommer wird.         Ihre

 

 

Gemeindebrief 226

Februar, März und April 2019

Kochen

Ein neues Jahr hat begonnen und wie jedes Jahr gibt es einen Vers aus der Bibel, der das Jahr wie ein Motto begleitet. Dieses Jahr stammt die Jahreslosung aus Psalm 34, Vers 15 und lautet:

            Suche Frieden und jage ihm nach!

Frieden - ja!
Wer wollte wohl keinen Frieden. Noch nicht lange ist es her, da haben wir ihn zugesagt gehört, als die Engel auf dem Feld den Hirten die Botschaft von der Geburt des Heilands verkündeten:
Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens! (Lk 2, 14)
Zugesagt - angesagt - als Gottes Gabe und Setzung an die Welt - uns, der Menschheit, gegeben - so begegnet uns der Friede an Weihnachten.
Doch nach Weihnachten, wenn der Gesang der Engel verstummt ist, wenn die Hirten wieder bei ihren Herden sind, der Stern untergegangen ist und die Weisen zurückgekehrt sind, dann erst beginnt das Werk von Weihnachten - so heißt es in einem irischen Weihnachtslied.
Dann ist es an uns, wahrzumachen, was mit der Geburt Jesu schon wahrgeworden ist: Wie das Kind wächst und erwachsen wird, will auch der Friede genährt werden, dass er wächst und groß wird.
Denn so wie die Wurzel des Friedens in Gottes Sein für uns Menschen und für unsere Welt liegt, so liegt das Wachstum des Friedens an uns.
Frieden braucht Menschen, die ihn suchen, denen er ein Herzensanliegen ist, so dass sie sich nicht abfinden, wenn er nicht da ist oder wenn er verschwindet. Frieden braucht Menschen, die  ihm nachjagen, ihre Kraft und Energie - innerlich wie äußerlich - geben, um ihm einen festen, unnehmbaren Platz  in der Welt, im Miteinander von Völkern und Nationen, Menschen eines Landes und einer Gesellschaft, am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft, in der Familie - einfach überall zu geben.
Ohne die Tat in Worten und Handeln bleibt Friede nichts als eine schöne Idee.
Frieden geht nicht mit „ein bisschen Frieden“. Frieden geht nur ganz oder gar nicht. Er ist radikal. Er geht in die Tiefe und in die Weite und lässt nichts aus . Vor allem geht er nicht ohne Menschen oder an ihnen vorbei.
Frieden braucht uns - jede und jeden Einzelne/n.
Dass wir alle Wege des Friedens gehen werden - das wünsche ich uns für dieses Jahr 2019.
                                                               Ihre

 

 

Gemeindebrief 225

November und Dezember 2018 und Januar 2019

Fremd

           „Alle Jahre wieder kommt das Christuskind...“

So lautet die erste Liedzeile aus dem bekannten Kinderweihnachtslied, das Wilhelm Hey 1837 gedichtet hat und zu dem Friedrich Silcher 1842 die Melodie geschrieben hat.

Und genauso ist es auch: Jedes Jahr wieder beginnen wir mit der Adventszeit die Vorbereitung auf das Weihnachtsfest. Wir gestalten diese Vorbereitung mit vertrauten Ritualen und gleichzeitig sind diese Vorbereitung und das Weihnachtsfest jedes Jahr etwas so Besonderes als sei es ganz neu.           Sicher hat das damit zu tun, dass diese Zeit des Advents und das Weihnachtsfest wie keine andere an Kindheitszeiten und an eine tiefe Sehnsucht von uns rührt. Und das ist nicht alles.

Mit jedem Weihnachten, das wir feiern, erinnern wir uns nicht nur an die Geburt Jesu und daran, dass der große, allmächtige und unbegreifliche Gott den Weg zu uns sucht, indem er in einem Menschen unser Leben geteilt hat.  

Wir feiern auch, dass Gott diesen Weg immer wieder geht.Und so viel und oft die Geschichte von Jesu Geburt wiederholt und erzählt werden will, so oft will sie auch neu gelesen und gehört werden und befragt werden, was das Kommen Gottes als Mensch in unsere Welt genau in diesem Jahr bedeutet.Vor dem Hintergrund der nicht aufhörenden Debatte über Heimat und Grenzen und der Frage, wieviel Fremde und Fremdes wir in diesem Land verkraften, mag die diesjährige Botschaft von Weihnachten sein, dass Gott selbst den Weg in die Fremde gesucht hat - sozusagen raus aus seinem ureigenen göttlichen Wesen hinein in unsere menschliche Wesensart. Und so ist die Konsequenz für uns, dass wir im übertragenen Sinn denselben Weg gehen: raus aus den uns vertrauten und eigenen Lebensweisen hinein in die Begegnung mit dem, was uns fremd erscheint.Theologisch gesprochen setzte Gott mit seiner Geburt in Jesus Christus den Anfang seines Erlösungswegs für uns, der sich an Ostern vollendet.Gesellschaftlich gesprochen gehen wir Schritte zur Erlösung unserer, in sich selbst, in Ängsten und Empfindlichkeiten gefangenen Gesellschaft, wenn wir uns nicht einspinnen lassen von Abgrenzungsparolen und Angstmacherei, sondern freimütig Schritte der Begegnung auf die hin tun, die uns fremd sind.Ich bin sicher, dass wir dann ein Weihnachtsfest erleben, durch das zugleich auch Ostern scheint.                                                                           Ihre 

 

 

Gemeindebrief 224

August, September und Oktober 2018

Geduld

 

„Gott ist Liebe und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott in ihm“
1. Joh 4, 16 - Monatsspruch für August

In seinen persönlichen Erinnerungen an Frère Roger Schutz, den reformierten Pastor und Gründer der ökumenischen Brüderkommunität von Taizé, erzählt Klaus Hamburger, der mehr als drei Jahrzehnte als Bruder in Taizé gelebt hat:
„Einmal saß er (Roger Schutz) mit seiner Großmutter im sonntäglichen Gottesdienst. Der Pfarrer predigte mit großem Einsatz. Nach einer Weile fragte sich der kleine Roger: Der Arme, wenn er das alles selber leben muss, was er da sagt, das schafft er nie und nimmer.
Er teilte sich seiner Großmutter mit, zu der er grenzenloses Vertrauen hatte. Sie war auch dieses Mal nicht um eine Antwort verlegen. Was immer der Pfarrer da vorne von sich gibt, meinte sie, stell dir einfach vor, dass er immer nur sagt:
Gott ist die Liebe,
Gott ist die Liebe,
Gott ist die Liebe.
Das fand Roger großartig, und dabei blieb er.“               
                                          aus: ders. Danke, Frère Roger Umschlagtext

Unser Glaube ist vielschichtig und facettenreich. Er ist gewachsen. Er wurzelt im Judentum. Er hat wesentliche Prägungen durch die griechische und die römische Philosophie erfahren. Er ist angereichert worden mit Aspekten und Elementen orientalischer und germanischer Religionen u.a.m.
Man kann die Bibel ein Leben lang studieren und Bücher über sie schreiben und wird sie dennoch nie ausschöpfend erfassen können. 
Wo Worte und Abhandlungen an ihre Grenzen geraten,
reicht ein einziges Wort:  Liebe.
                              Gott ist die Liebe.
Mehr ist nicht nötig , um unseren Glauben zu verstehen .
Dieses eine Wort, dieser eine Satz will sich entfalten.
In jeder Lebenssituation und mit jeder Begegnung, die man hat, will es durchbuchstabieret werden um sich mit Lebensgeist und Lebenstat zu füllen.                           
Gott ist die Liebe.
Das ist Zuspruch und Anspruch für uns, die wir glauben.
Dieser Satz reicht für ein ganzes Leben und darüber hinaus.                                                                        

                                                                                                        Ihre

 

 

Gemeindebrief 223

Mai, Juni und Juli 2018

Berge



Vergesst die Gastfreundschaft nicht;
durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt.

Hebräer 13,2 

Ostermontag 1984
Meine Abiturprüfungen lagen hinter mir, bis zur Bekanntgabe der Noten und der Zeugnisvergabe waren noch etliche Wochen Zeit. Also machte ich mich auf die Reise. Zuerst nach Rom, wo ich einige Zeit verbrachte, dann nach Südfrankreich, schließlich (mal wieder) nach Taizé. Dort traf ich unverab-redet Bekannte von früheren Besuchen dort. Gemeinsam entstand bei uns die Idee, von Taizé in Burgund zu der Communauté de Grandchamp, einem ökumenischen Frauenorden am Neuchateller See in der Schweiz, der ebenfalls nach der Regel von Taizé lebt, zu laufen.
Zu dritt machten wir uns eines Morgens auf den Weg. Wir wussten nichts anderes als das Ziel unserer Wanderung und den ungefähren Weg. Smartphones mit GPS gab es noch nicht, lediglich hatten wir uns vorher mit Hilfe einer Karte einige Orte als Orientierungsstationen gemerkt. Unterkünfte waren  nicht gebucht. Wir hätten dafür auch gar kein Geld gehabt. Also standen wir jeden Abend vor derselben Frage: Wo können wir schlafen. Und jeden Abend machten wir von Neuem die erstaunliche Erfahrung, dass wir immer einen Schlafplatz fanden:
Beim Förster, bei einem Pfarrer, in einem Kloster, mehrere Male in Ställen oder Scheunen bei Bauern. Manches Mal fanden wir nicht nur einen Schlafplatz, sondern zusätzlich noch liebevolle Bewirtung und anregende Begegnungen. Und die „Engel“ waren dabei für mich nicht wir, sondern die, die uns so selbstverständlich aufnahmen.
Seitdem  sehe ich in Gastfreundschaft einen besonderen Ausdruck gelebter Nächstenliebe.
In unserer Welt, in der wir Menschen immer näher zueinander rücken, in der die Grenzen der Länder und Nationen täglich medial überschritten werden, und in der wir das Schicksal unzähliger Menschen täglich frei Haus fernsehen, wird mir „Gastfreundschaft“ zu einem wichtigen Bild für das so notwendige aneinander Anteilnehmen, für das miteinander Teilen dessen, was wir haben und vor allem für unsere offenen Türen und Herzen. - Und das längst nicht nur aus einem sozialen Gewissen, sondern weil wir damit rechnen können, dass unter den Menschen, die wir empfangen und aufnehmen genau die Menschen sind, die uns mit ihrer Lebenserfahrung und ihrer Sicht auf die Welt helfen können, unser Zusammenleben offen und unsere Weltgemeinschaft gastfreundlich für alle zu gestalten.
Ich glaube, dass wir das dringend brauchen.         

 

 

Gemeindebrief 222

Februar, März und April 2018

Schreiben

Gott spricht:
Ich will dem Durstigen geben
von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.
Offenbarung 21,6



Lassen Sie sich gerne etwas schenken?
Vielleicht ja zu Weihnachten oder zum Geburtstag - aber einfach mal so zwischendurch ohne Anlass und ohne vorherigen Wunschzettel?
Vielen Menschen fällt es eher schwer, sich einfach so etwas schenken zu lassen.
Dazu kommt bisweilen die verbreitete Ansicht, dass das, was nichts kostet, auch nichts ist. Etwas von Wert hat auch seinen Preis.
So funktioniert unser gesellschaftliches und wirtschaftliches System.
Und nun hören wir mit der Losung für 2018 davon, dass Gott umsonst gibt - Lebenselixier aus der Quelle lebendigen Wassers.
Nach der Logik unseres Systems kann das also nichts Rechtes sein, wenn es umsonst ist, also nichts kostet.
Gottes Logik ist offensichtlich anders. Denken wir uns von Gott aus, erkennen wir, dass wir die wesentlichen Dinge des Lebens gratis bekommen. GRATIS - dieses Wort wurzelt in dem lateinischen Wort gratia - Gnade. Gnade rechnet nicht die Kosten aus und fragt nicht nach Verdienst.
Die wesentlichen Dinge des Lebens:
Da ist zuerst unser Atem. Mit jedem Atemzug empfangen wir Leben vom ersten Atemzug an bis zum letzten - Atmend wird uns das Leben geschenkt, einfach so.
Oder: In schweren Zeiten haben wir plötzlich Kraft - woher und wieso wissen wir manchmal nicht. Im Rückblick fragen wir uns, wie wir das denn geschafft haben - und sagen: Die Kraft ist mir einfach zugewachsen.
In unserem alltäglichen Leben müssen wir rechnen und gegeneinander aufwiegen, um den Alltag zu bewältigen. In den wesentlichen Bereichen unseres Lebens reicht es, wenn wir uns beschenken lassen und das Geschenk als Geschenk erkennen und es annehmen. Es öffnet uns den Weg dazu, unser Leben in allen Verpflichtungen und Anforderungen als verdankt zu erkennen und dankbar zu leben.    

 

Gemeindebrief 221

November und Dezember 2017 und Januar 2018

Geburt

Gott spricht:
Ich will unter ihnen wohnen und will ihr Gott sein
und sie sollen mein Volk sein. (Ez 37, 27)

Haben Sie Lust zur Kontaktaufnahme? Dann melden Sie sich doch mal bei ihm. Spätestens in der Nacht vom 24. zum 25. Dezember wird er auch persönlich kommen.

                                                                                                         Ihre

 

Gemeindebrief 220

August, September und Oktober 2017

Reformation

Reformation - so heißt das Thema dieses Gemeindebriefs.

Martin Luther
ist der Name, der sich für die meisten Menschen als erstes mit dem Thema verbindet. Ebenso kennen viele Menschen den berühmten Satz    

                                             „Hier stehe ich und kann nicht anders“,

der dem Reformator zugeschrieben wird.

Martin Luther hat diesen Satz wahrscheinlich gar nicht selber gesagt. Er wurde ihm von einem Protokollant seiner Verteidigung auf dem Reichstag zu Augsburg 1518 in den Mund gelegt. Trotzdem gibt dieser Ausspruch eindrücklich Luthers Geistes- und Glaubenshaltung wieder - eine Haltung, mit der er in  paulinischer Tradition steht.

Paulus, der in Jerusalem gefangengenommen worden war, nach Cäsarea überführt und dort dem römischen König Agrippa vorgeführt wurde, sagt die Worte, die den Monatsspruch für August bilden. 

                      Gottes Hilfe habe erfahren bis zum heutigen Tag und stehe nun hier                                                    und bin sein Zeuge bei Groß und Klein. (Apg 26,22)

Mit ihnen bringt er dasselbe zum Ausdruck wie auch Martin Luther fast anderthalb Jahrtausende nach ihm:
Er ist ergriffen durch das Evangelium von Jesus Christus als einer Wahrheit, die er nicht verleugnen kann.
Würde er es tun, würde das für ihn einer Verleugnung Gottes gleichkommen.
Beide, Paulus ebenso wie Martin Luther, sind bereit, dafür alle Konsequenzen zu tragen.
Mich beeindrucken beide in ihrer Haltung sehr.
Und ich frage mich:
Wie können wir heute ebenso „fromm“ im guten Sinn, also überzeugt in der Sache und fest im Glauben sein und zugleich nicht dogmatisch, ausgrenzend oder gar fanatisch sein?
Ich sehe darin eine der großen Herausforderungen unserer Kirche und von uns Christenmenschen  heute:
Klar und erkennbar zu sein in unserem Glauben  UND weit und offen in unserem Reden und Handeln.
Ob uns das gelingen kann?
Ich wünsche es mir.

 

Gemeindebrief 219

Ausgabe 219  Mai, Juni und Juli 2017

Lebenszeiten

Eure Rede sei allzeit freundlich und mit Salz gewürzt.
(Kol 4,6 - Monatsspruch für Mai)

Kommunikation - das ist ein Wort, dem man häufig begegnet.Die Kommunikation muss funktionieren - sagt man.Wenn die Kommunikation stimmt, ist schon (fast) alles gewonnen.An Angeboten zur Fortbildung im Bereich Kommunikation mangelt es nicht:

  • zur Kommunikationstrainer/in
  • zur Gewaltfreien Kommunikation
  • zur Unterstützenden Kommunikation im Bereich Rhethorik...

Vieles, was man auf solchen Fortbildungen lernt, ist nützlich und hilfreich. Es erhellt, woran es immer wieder hakt, wenn Kommunikation an irgendeiner Stelle nicht klappt und eröffnet Lösungen zur besseren und tieferen Verständigung zwischen Menschen. Ich denke, es ist gut, sich bewusst zu werden, wie man spricht, welche Worte man benutzt, welchen Tonfall man anschlägt, wie die eigene Gestik ist, ob man verbindlich und verbindend spricht oder abgrenzend und anklagend.

Einander im Gespräch in Worten, Gestik und Haltung achtsam und wertschätzend zu begegnen, bildet einen stabilen Grund, Schwierigkeiten im Miteinander und Unstimmigkeiten in sachlichen Fragen aufzunehmen und zu Verständigungen und Lösungen zu führen.

Kommunikation ist so alt wie die Menschheit. Schon immer entscheiden sich Kriege und Frieden an gelungener oder nicht gelungener Kommunikation. Gerade in der Politik ist die Kommunikation eine hohe Kunst.

Der Monatsspruch für Mai aus dem Kolosserbrief bringt auf den Punkt, dass Freundlichkeit und Achtsamkeit dem anderen gegenüber und Klarheit in der Sache und in sich selber kein Widerspruch sind, sondern sich gegenseitig stützen und befruchten. Alfred Delp, der durch die Nazis ermordete Jesuitenpater drückt dasselbe so aus:

Das Klare suchen, das Wahre tun, die Liebe leben: Das wird uns gesund machen.

Gesundung auf diese Weise braucht unser Miteinander in Reden und Tun im Kleinen, im Privaten wie im Großen, im Politischen so sehr! Und so wünsche ich uns allen und allen, die im Großen oder Kleinen Verantwortung tragen, Klarheit, Wahrhaftigkeit und Liebe in der Sprache ihrer Worte und Taten.

Gott befohlen. Ihre